Selbstreflexion

Warum Memoirenschreiben gut tut - ein Podcast

Judith Schneider von Zeitpolster hat mich im Rahmen ihrer Podcast-Serie „Cleveres Älterwerden“ eingeladen, über meine Erfahrungen des Memoirenschreibens zu sprechen.

Zu diesem Thema habe ich vor fast zwei Jahren bereits einen Artikel gepostet: Memoiren – mehr als nur Erinnerung, in dem ich insbesondere über die Erfahrungen meiner Schwester berichtet habe, die unsere Familiengeschichte und ihren Lebensweg in Japan festgehalten hat. Ich habe sie in diesem Prozess oft begleitet, dachte mir aber, dass ich noch viel zu jung für meine eigenen Memoiren sein. 

Aber manche Dinge ändern sich überraschend. Plötzlich hatte ich das Bedürfnis, die Erinnerungen an meine vielen Dienstreisen auch in sehr exotische und spannende Länder aufzuschreiben. Daraus ist dann sukzessive mehr geworden und wurde schließlich eine Reflexion des größten Teils meiner Berufszeit. Ich habe mir viele Fragen gestellt und beantwortet wie z.B.:

  • Was hat mich bewogen den damals völlig unbekannten Bereich  Umweltmanagement in einem der größten Unternehmen Österreichs aufzubauen? Was wollte ich erreichen und was ist daraus geworden?

  • Welche Projekte habe ich gemacht und welche davon waren erfolgreich, welche nicht und warum?

  • Wie ist es mir als Frau in der männerdominierten Energiewirtschaft ergangen?

  • Welche Menschen haben mich begleitet, wie haben sie mich unterstützt, aber auch, wie haben mich die Konflikte mit einigen von ihnen weiter gebracht?

  • Was sagen rückblickend mein Sohn und mein Mann zu meinen intensiven Berufsjahren?

  • Wie war mein Work-Life Balance wirklich?

Die (auch für mich manchmal überraschenden) Antworten auf einige dieser Fragen sowie Tipps, wie man es angeht und warum es gut tut, Memoiren zu schreiben besprechen Judith und ich in diesem Podcast.

 

Zeitpolster - Podcast: Warum Memoirenschreiben gut tut

 

Takeaway

  • Eine Biographie enthält die chronologischen Fakten deines Lebens, Memoiren hingegen die Erinnerungen und Reflexionen.

  • Du kannst entweder strukturiert vorgehen oder auch einfach bei irgendeinem Ereignis zu schreiben beginnen. Aber bevor du anfängst, überleg dir, warum du das machst: z.B. um etwas weiterzugeben, abzuschließen, dir klar zu werden, deine Schätze für dich selbst festzuhalten etc.

  • Memoiren dokumentieren den Schatz deines Lebens, deine Erlebnisse und Entscheidungen und du erkennst klar den roten Faden, das Herausfordernde und das Schöne.

  • Entscheidend ist allerdings die Einstellung, mit der du zurück schaust! Sie ist verantwortlich dafür, ob daraus ein Drama wird, ein Entwicklungsroman, in einzelnen Bereichen vielleicht sogar eine Komödie oder ein wesentlicher Teil deiner persönlichen Schatzkiste. Nur du entscheidest!

Herzlichst
Helga

 
 

Im Podcast über das „clevere Älterwerden“  findet ihr auch noch viele andere interessante Themen. Unter anderem zwei weitere Podcast von mir über strahlend alt werden und ausmisten für mehr Freiheit

 

Für alle, die Zeitpolster noch nicht kennen:
Zeitpolster ist ein Sozialunternehmen, das Betreuungsleistungen für ältere Menschen, Kranke oder auch für Familien mit Kindern vermittelt. Es geht um Gesellschaft leisten, Freizeitbegleitung, einkaufen gehen, Hilfe in Haus und Garten u.v.a. Das Besondere an dem Konzept ist aber, dass die Helfenden, die sich für andere Menschen einsetzen, ihre Stunden für später gutgeschrieben bekommen, wenn sie selber Hilfe brauchen. Ich finde diese Idee höchst spannend, denn Netzwerke sind so ein wichtiger Bestandteil, wenn wir älter werden.

Lebensrhythmen - Das Leben im 7/7 Takt

Unser ganzes Leben folgt bestimmten Rhythmen! Denn alle 7 Jahre ändern sich die Lebensthemen, denen wir uns stellen sollten, um daran persönlich zu wachsen.

Am Anfang des Lebens ist uns klar, bis 7 ist Kindheit, danach Schule und Pubertät bis 14, Selbstfindung und Wahl des Berufsweges bis 21, dann Partnerschaften, Beruf und oft Familiengründung usw. Man geht davon aus, dass wir schließlich mit 49 ein vollständiges Erwachsenenprofil haben[1]. Und was ist dann? Wie geht die Entwicklung bis ins hohe Alter weiter? Welche Lebensthemen stehen in diesen Septennien (7-Jahresphasen) an?

Als ich das Posting geschrieben habe war ich ehrlich überrascht, wie sehr die Septennien in meiner Rückschau zutreffen. Daher habe ich sie für die Zeit von 50 bis 100 weiter entwickelt, um die aktuellen und kommenden Rhythmen besser zu verstehen.

Wenn wir uns dem Rhythmus nicht anpassen, könnte es passieren, dass wir Boogie tanzen möchten, während gerade Walzer gespielt wird - und das wäre echt anstrengend.

Take away

  • Auch im Alter stehen ganz bestimmte Entwicklungsschritte an, denen man besser folgen sollte.

  • Meine Erkenntnisse und Vorschläge für die Septennien von 50 bis 100.

  • Sich den Lebensthemen zu stellen, verhindert mögliche Alterserscheinungen wie Rückzug, Frustration, Bitterkeit u.a.

 

pexels: Kampus Production

 

ALLE 7 JAHRE EIN NEUER SCHWERPUNKT

Bei meinem Interview über den Sinn im Alter, gab mir Daniela Philipp das Buch von Penny McLean[2]Alles neu in 7 Jahren. Das Geheimnis der Lebensrhythmen“. Es hat mich sehr angesprochen und ich habe neugierig auf einer Zeittabelle alle wichtigen Erlebnisse und Entscheidungen meines Lebens eingetragen, sowie die schönen und auch die weniger schönen Jahre. Und tatsächlich, ich fand Gesetzmäßigkeiten, die mir bisher nicht bewusst waren.

Auf der Suche nach mehr Informationen zu Lebensrhythmen oder -zyklen fand ich mehrere ähnliche Konzepte. Bereits der griechische Politiker Solon (640-560 v.Chr.), dem wir den Grundgedanken der Demokratie verdanken, sprach von 10 Lebensphasen zu je 7 Jahren und gab jeder ein spezifisches Entwicklungsthema. Auch Rudolf Steiner (Begründer der Anthroposophie) war davon überzeugt, dass das Leben in Wachstumsschritten vor sich geht, wobei jede 7-Jahresperiode direkt mit körperlichen und geistigen Entwicklungen korreliert. Neueste Zellforschung zeigt, dass sich tatsächlich praktisch der gesamte Körper in 7-Jahresperioden erneuert[3] Und auch in meinen Energetik-Ausbildungen habe ich über die Entwicklung der Energiezentren (Chakren) gelernt, die ebenfalls einem 7er Rhythmus folgen.

DIE ENTWICKLUNGSZYKLEN DER 7 CHAKREN

Die 7 Chakren sind Energiezentren, die bestimmte Körperregionen mit feinstofflicher Energie versorgen. Sie enthalten und speichern aber auch emotionale und geistige Informationen. Man könnte sie auch als Bewusstseinsebenen der Persönlichkeit[4] betrachten. Wenn sie durch negative Erlebnisse oder Gedanken „blockiert“ werden, wirkt sich das auf den Energiefluss aus und führt schließlich zu körperlichen Beeinträchtigungen. Deshalb ist es selbst im Alter noch wichtig, seelische Verletzungen oder hinderliche Gedankenmuster von früher aufzulösen.

Natürlich arbeiten alle Chakren permanent, aber jeweils 7 Jahren lang ist eines besonders aktiv (etwa so, wie in der EU, in der alle 27 Mitgliedsstaaten immer aktiv sind, aber abwechselnd hat nur eines den Ratsvorsitz). Das fördert körperliche, emotionale und geistige Entwicklungssprünge (siehe Tabelle).

 
 

Mit dem 49. Lebensjahr (7 x 7 Jahre) ist unsere erwachsene Persönlichkeit ausgebildet. Mit dem 50. Lebensjahr fängt der Zyklus dann von vorne an!

Es ist so, als ob man die gleichen Stücke nochmals spielen würde. Und so wird man unbewusst auf Themen und Situationen gestoßen, die man früher vermisst oder verdrängt hat. Aber heute kann man ihnen mit der ganzen Lebenserfahrung neu begegnen.

Sollten wir das nicht tun, kann das unangenehme Folgen haben. Denn inzwischen ist bekannt, dass viele der sogenannten Alterserkrankungen tatsächlich ihre Wurzeln in bisher nicht verarbeiteten emotionalen Problemen haben, die bis in die Kinderzeit zurückreichen können. Ab 50 kann man also die Chakren mit der ganzen bisherigen Lebenserfahrung neu prägen und so für mehr Energie bis ins hohe Alter sorgen.

VON 49-56: SICHERHEIT UND GEBORGENHEIT

Das Wurzelchakra unterstützt die körperlichen Veränderungen, die jetzt bei Frauen, aber auch bei Männern, einsetzen. Damit klar zu kommen kann eine Herausforderung sein. Will man den Körper in seiner neuen Form annehmen und lieben oder nicht? Hier zeigt sich z.B., ob man mit dem Altern zurechtkommt oder dagegen kämpft. Die ganze Schönheitsbranche lebt davon!

Auch existentielle Fragen rücken in den Mittelpunkt. Genau in diesen Jahren hatte mein Mann einen Karriereknick und ich war im Burnout. Jeder von uns war also gezwungen, sich besonders mit den Themen Sicherheit, Urvertrauen und Durchhaltevermögen auseinanderzusetzen. Und das war, aus heutiger Sicht, sehr gut so.

VON 56-63: BEZIEHUNGEN & EMOTIONEN

Das Sakralchakra steht für Sexualität, Kreativität, Emotionalität, Vergangenheitsbewältigung sowie sinnlich und lustvoll durch die Welt zu gehen. All das ist in dieser Zeit angesagt. Klar, dass wir nach den ganzen hormonellen Veränderungen der letzten Jahre Sexualität neu erleben. So können auch manche Erlebnisse aus der Vergangenheit, Tabus oder Unsicherheiten jetzt neu bewertet oder aufgelöst werden.

Beziehungsthemen erscheinen in vielen Fassetten (z.B. steigt die Scheidungsrate in dieser Zeit) und Emotionen spielen eine große Rolle. Sowohl ein Zuviel als auch ein Zuwenig an Emotionen ist immer ein Zeichen unbewältigter Themen der Vergangenheit. Jetzt ist also eine gute Gelegenheit für Vergangenheitsbewältigung. In dieser Zeit haben mein Mann und ich mit energetischen Ausbildungen begonnen und dabei unzählige Glaubenssätze oder negative Emotionen aus der Kindheit und Jugend aufgelöst. Aus unserer Sicht war das die beste Investition in die Zukunft und hat uns auch enger zusammengeführt.

VON 63-70: NEUES SELBSTBEWUSSTSEIN

Mit der Pension kommt es zwangsläufig zur Neuorientierung. Jetzt kommen nochmals alle Themen der Selbstfindungsphase (15-21) hoch, die zum Solar Plexus gehören Selbstbewusstsein, Selbstvertrauen, der Umgang mit Macht und Ohnmacht und das „Grenzen-setzen“.

Jetzt entscheidet sich, ob diese Werte aus der eigenen Persönlichkeit kommen oder ob man sich über die berufliche Position definiert hat. Das ist auch eine Erklärung dafür, ob einem der Schritt in die Pension schwer oder leicht fällt. Möglicherweise muss man ein neues Selbstbewusstsein finden, das vom Beruf oder äußerer Anerkennung unabhängig ist.

Auch Ausmisten (Ausmisten - eine Pflichtübung in der Pension) steht auf dem Programm und zwar auf allen Ebenen! Dazu zählen Gegenstände ebenso wie überholte Gewohnheiten.

Die Beziehungen müssen ebenso neu organisiert und Grenzen neu definiert werden, wenn ein oder beide Partner in Pension gehen.

Es ist auch die ideale Zeit, Talente und Fähigkeiten vor den Vorhang zu holen und auszuleben. Die meisten Senioren sind heute noch sehr aktiv!(Gewonnene Jahre; Pension und Alter sind ein Job, GO-GO, SLOW-GO, NO-GO, Freiwilligenarbeit: etwas machen das Sinn macht).

Für all das bietet das Solar-Plexus-Chakra die nötige Energie an. Wenn einem das gelingt, ist man mit 70 selbstsicherer und zufriedener denn je. Wenn man diesen Themen allerdings keine Beachtung schenkt, kann das dazu führen, dass man sich nicht mehr wertvoll fühlt oder mit dem Altern nicht zurechtkommst. Das kann zu Rückzug, Depression und Antriebslosigkeit führen. Man wird tatsächlich alt und fühlt sich auch so.

VON 70–77: BEDINGUNGSLOSE SELBSTLIEBE

Bedingungslose Selbstliebe und Liebe für andere sind ein Resultat eines offenen Herzchakras bzw. bewirken es. Je mehr wir lieben, desto mehr wirken wir alleine durch unser Sein. Unsere Anwesenheit beruhigt, erfreut und macht sicher.

Ein starkes Herzchakra stimuliert auch die Selbstheilungskräfte. Sogar chronische Erkrankungen können eine Verbesserung erfahren. Zusammen mit Selbstliebe und Liebe erklärt das auch, warum manche Menschen über 70 jahrelang nicht zu altern scheinen! Meine Schwester ist das beste Beispiel dafür. Obwohl die letzten Jahren wegen der Krankheit ihres Mannes und Corona sehr schwierig waren, scheint sie selber kein bisschen älter zu werden, weder körperlich noch von ihrer Einstellung und Haltung her.

Wenn man das Herzchakra aber verschlossen hält und an den vielen Verletzungen der Vergangenheit festhält, nicht fähig ist zu vergeben oder sich in Schuldgefühlen vergräbt, kann dies zu Einsamkeit, sogar zu Feindseligkeit, Verbitterung oder Misstrauen führen. Das zeigt sich besonders gegen Ende dieser Periode in großen Unterschiede in der Körperhaltung, Physiognomie oder Gangart.

Ob man es hören will oder nicht,
die Alterserscheinungen eines jeden Menschen
sind das Bild seiner persönlichen Innenwelt.
Penny McLean

VON 77–84: SELBSTAUSDRUCK & SELBSTREFLEXION

Die Energie des Halschakras fordert uns auf, authentisch zu sein sowie uns über den Sinn und die Reichhaltigkeit des eigenen Lebens Klarheit zu verschaffen. Diese Selbstreflexion kannst du z.B. durch Biographiearbeit machen oder du schreibst deine Memoiren (Memoiren, mehr als nur Erinnerung).

Selbstausdruck ist u.a. Kommunikation und der klare Ausdruck der eigenen Meinung. Das wollten wir ja immer schon, doch sehr oft mussten wir zu viel berücksichtigen: die Hierarchie, die Karriere, den „Haussegen“, Abhängigkeiten oder anderes. Wenn das Herzchakra aber inzwischen voll ausgebildet ist, gelingt dir das dann in jeder Situation und zwar niemals verletzend, trotzdem voll Wirkung und authentisch.

Wenn man die alten Beschränkungen und Zurückhaltungen von früher nicht überwindet, die das Halschakra blockieren, spürt man Angst, nicht mehr gut genug zu sein oder nicht mehr akzeptiert zu sein. Das kann dazu führen, dass man die eigenen Gefühle und Gedanken nicht mehr ausspricht, sich missverstanden oder gar ausgegrenzt fühlt.

VON 84-92: INTUITION & WEISHEIT

Das aktive Stirnchakra unterstützt uns darin Erkenntnisse aus all den bewussten und unbewussten Erlebnissen und Erfahrungen zu gewinnen, sodass das Leben trotz abnehmender körperlicher Kraft interessant und reichhaltig bleibt. Ich sehe daher diesen Lebenszyklus im optimalen Fall als Zeit, in der das Leben mit Weisheit und gelassener Heiterkeit erfüllt sein kann. Niemand hat einem mehr zu sagen, was man tun und lassen soll.

Gleichzeitig gilt es aber, sich mit Loslassen zu beschäftigen und Frieden in sich selbst zu finden. Wenn man allerdings an Altem rigide festhält und über Vergangenes trauert, dann leben die Menschen in Angst und Sorgen, unruhig, voll Pessimismus und haben wenig oder kein Interesse an anderen Menschen oder Neuem mehr.

VON 92-98: SPIRITUALITÄT

In dieser Zeit ist das Kronenchakra besonders aktiv und steht für Spiritualität und die Verbindung zum Höheren Selbst. Menschen, die sich darauf einlassen strahlen von innen heraus, schauen voll Frieden auf ihr Leben zurück und gleichzeitig voll Vertrauen dem Tod entgegen. Viele hochbetagte Menschen sind gesund und sie haben eine viel gelassenere Art mit den körperlichen Veränderungen umzugehen, als wir uns vorstellen können. Befragungen von Hundertjährige zeigten (Schönheit des Alters), dass ihr Leben voll Glück, Sinn und Leichtigkeit ist, weil sie es geschafft haben nach den Rhythmen des Lebens zu leben. Und das auch, wenn dazwischen schwierige Jahre lagen.

Mir persönlich hat die Klarheit der Lebensrhythmen und deren Entwicklungsthemen im Alter sehr viel gebracht. Obwohl ich weiß, dass wir häufig instinktiv das Richtige machen, sehe ich aber auch, dass sich oft das Ego durchsetzt und man in alten Gewohnheiten und Anforderungen an sich selbst stecken bleibt. Diesen Lebensrhythmen sind daher eine Art Kompass, nach dem ich mich richten kann und sie zeigen mir die Reichhaltigkeit unseres Lebens und dass es bis zuletzt etliches zu tun gibt. Und auch hier passt einer meiner Lieblingssprüche von Viktor Frankl

Wozu fordert mich das Leben jetzt auf?

Herzlichst
Helga


[1] Rudolf Steiner, Penny McLean, Chakrenlehre, etc.

[2] Penny McLean: Alles neu in 7 Jahren. Das Geheimnis der Lebensrhythmen. KNAUR 2014

[3] Jonas Frisen, Zellbiologe,  Karolinska-Institut Stockholm

[4] Rosalyn Bruyere, Heilerin & energetische Forschung, USA - Ausbildung


Memoiren - mehr als nur Erinnerungen

Hast Du schon darüber  nachgedacht deine Autobiografie oder deine Memoiren zu schreiben? Nein? Ich auch nicht! Aber ich habe diesen Prozess bei meiner Schwester miterlebt, die vor 3 Jahren damit begonnen hat und nun fast fertig ist.  Warum sie das gemacht hat, was dabei so interessant war und wie sich die Motivation während des Schreibens geändert hat, möchte ich euch heute berichten. Denn ich glaube, dass es für jeden interessant ist, das eigene Leben zu reflektieren, um daraus Klarheit und Kraft zu erfahren und es zu würdigen.

Take away

  • Selbstreflexion als Entwicklungsaufgabe im Alter.

  • Herausfinden, was im eigenen Leben wirklich zählt.

  • Weil man sich das Positive vor Augen führt und weniger Positives nun mit Abstand neu bewerten kann.

 
 

LEBENSRÜCKBLICK GEHÖRT ZU DEN WICHTIGSTEN AUFGABEN IM ALTER

Es gibt die verschiedensten Motivationen dafür, den Lebensrückblick niederzuschreiben. Viele Menschen wollen Erinnerungen und besondere Erlebnisse für ihre Nachkommen festhalten. Aber noch viel häufiger liegt die Motivation darin, sich an die schönen und/oder auch an die weniger schönen Zeiten zu erinnern und so ein neues Verständnis dafür zu schaffen oder damit abzuschließen. Wenn man das ehrlich und ohne Werturteil über sich und andere zu Papier bringt, merkt man schnell, wie gut man so manches bewältig hat und wie wunderbar sich manche Wendungen im Leben ergeben haben.

Das Memoirenschreiben ist inzwischen in der Altersforschung als identitätsstiftende und besonders sinnvolle Tätigkeit anerkannt. Es geht nicht um sentimentales Schwelgen in der Vergangenheit, sondern um Selbstreflexion als Entwicklungsaufgabe im Alter. In einer Dissertation zu diesem Thema heißt es: „Dieses autobiografische Erinnern hat eine besondere Wirkung auf das Wohlbefinden und kann als wesentliche Ressource zur Gestaltung des eignen Alters beitragen und zählt zu den bedeutendsten, sinnstiftenden Tätigkeiten im Alter.“  [i]

MEMOIREN ODER AUTOBIOGRAPHIE – ZWEI VERSCHIEDENE DINGE

Es gibt zwei Arten diesen Lebensrückblick zu gestalten. Wenn man von Autobiographie spricht, dann meint man einen Bericht über das Leben, chronologisch, detailliert, in dem Daten und Fakten eine wichtige Rolle spielen. Bei Memoiren geht es um einen Bericht aus dem Leben, also Erinnerungen über bestimmte Ereignisse oder Epochen, in denen das persönliche Erleben im Vordergrund steht. Das kann das Berufsleben sein, das Familienleben, das können Reiseerinnerungen oder einfach besondere Ereignisse sein.

ERFAHRUNGEN MIT DEM MEMOIREN SCHREIBEN

Meine Schwester Daya ist vor 50 Jahren der Liebe wegen von Österreich nach Japan gezogen, also zu einer Zeit, in der das noch mehr als ungewöhnlich war. Dementsprechend ungewöhnlich war auch ihr Leben zwischen zwei so unterschiedlichen Kulturen. Telefonieren war kaum möglich, Videochats wie heute waren unbekannt, also blieben nur Briefe um zu kommunizieren. Unsere Mutter hat alle Briefe von Daya gesammelt und so existieren über 1.000 handgeschriebene Briefe über ihr Leben in Japan! Vor 3 Jahren hat sie begonnen anhand dieser Briefe ihre Lebensgeschichte und vor allem auch den europäischen Hintergrund für ihre Kinder und Enkelkinder zusammenzufassen. Dass daraus mehr geworden ist und sie viele persönliche Erkenntnisse gewonnen hat, hat sie selbst überrascht.

Ich habe viele, lange Gespräche mit meiner Schwester dazu geführt und möchte euch das Wichtigste berichten.

Daya, was waren für dich die interessantesten Erkenntnisse durch das Schreiben deiner Memoiren?

Natürlich hat man eine Vorstellung davon, wer man eigentlich ist und weiß, was im Leben bedeutsam war. Aber beim Memoirenschreiben muss man notgedrungen eine Auswahl treffen. Das Gewicht, das ich manchen Erinnerungen gab - wohingegen ich andere als unwichtig beiseite geschoben habe - zeigte mir deutlich, was mir ganz persönlich von größter Bedeutsamkeit erschien. Was in meinem Leben wirklich zählt!

Das waren in meinem Fall nicht unbedingt berufliche Erfolge oder die vielen Reisen, auch wenn sie mich mit Freude und Stolz erfüllen. Für mich war es geradezu lebenswichtig, dass meine japanisch-österreichische Familie beide Kulturen zu ihrem Recht kommen ließ. Von überragender Bedeutung waren deshalb familiäre Traditionen, die ich offensichtlich ganz gezielt als Gegengewicht zur japanischen Umgebung einsetzte und förderte, obwohl mir das damals gar nicht voll bewusst war. Ich hatte immer schon das Gefühl, dass unsere Familienfeste (Fasching, Weihnachten, Geburtstage,...) etwas Besonderes waren, aber wie besonders wurde mir erst klar, als ich Seite um Seite mit Beschreibungen und Fotos davon füllte. Die Kreativität, mit der wir sie gestaltet haben, hat auch meine Lehrtätigkeit enorm beeinflusst und zieht sich wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben. Seit mir das in dieser Klarheit bewusst ist, kann ich auch viel besser damit umgehen, dass mit dem Alter viele Veränderungen kommen. Manche Sportarten gehen nicht mehr wie früher, weite Reisen derzeit auch nicht. Aber wenn ich sehe, wie meine Kinder diese Traditionen übernehmen und ihr eigenes daraus machen, ist mein Lebenstraum erfüllt.

Lernt man auch weniger positive Dinge und Lebensumstände besser einzuschätzen?

Oh ja, auch die konnte ich durch das Schreiben aufarbeiten, sie von mir ablösen und meinen Frieden damit schließen. Das vermutlich Wichtigste war, dass mir klar wurde, dass es selbst in einem Leben, das man im Rückblick als erfüllt und glücklich beurteilt, auch Schwierigkeiten und teilweise sehr große Herausforderungen gegeben hat. Aber alle Situationen haben sich in irgendeiner Form und durch mein Zutun positiv aufgelöst. Mir ist klar geworden, welche Methoden ich einsetze, um mit Problemen fertig zu werden und dass ich darauf vertrauen kann. Das hilft mir auch heute mit aktuellen Herausforderungen klar zu kommen. Zu wissen, dass es auf die eine oder andere Weise immer gut weiter geht, gibt ein unglaubliches Gefühl von Sicherheit.

Und schließlich ist durch das Niederschreiben der vielen schönen Erlebnisse meine Dankbarkeit enorm gestiegen. Ich trage so viele schöne Erinnerungen in mir.

Wie bist Du es praktisch angegangen?

Ich habe drei Bereiche gewählt. Der erste Abschnitt meiner Memoiren handelt von unserer Familie und geht zurück bis ins 19. Jahrhundert. Es ging mir darum das Leben unserer Großeltern und Eltern wiederzugeben und in das soziale Umfeld von damals einzuordnen, damit dieser österreichische Teil der Familie für meine eigenen Kinder und Enkel in Japan zugänglich ist. Dabei habe ich selber erstaunlich viel über unsere Eltern erfahren und sie besser verstehen gelernt. Sie haben zwei Weltkriege und die Zeit der Depression in ihrer Jugend miterlebt und trotzdem danach so viel aufgebaut und uns mitgegeben. Es ist über ihre Vergangenheit selten gesprochen worden, und dennoch hat alles, was sie erlebt haben, uns mitgeprägt. Was mich an diesem Teil so fasziniert hat, ist, dass ich vieles von ihnen in mir erkenne und trotzdem meinen eigenen Weg gegangen bin.

Die Kapitel über meine Kindheit und Jugend waren mehr oder weniger von Nostalgie geprägt, wobei ich versucht habe, den Lebensstil der damaligen Zeit miteinzubeziehen. Ein Leben ohne Plastik, ohne Flugreisen, ohne Computer kann man sich ja heutzutage kaum mehr vorstellen.

Am Spannendsten war es mein Erwachsenenleben zu beschreiben, Die Briefe, in denen ich den Eltern mein Leben in Japan beschrieben habe, haben mich berührt, als wäre ich in eine Zeitmaschine geraten. Das war wirklich ich selber; so habe ich damals gedacht; das war mir damals wichtig genug, es schriftlich festzuhalten. Erstaunlicherweise habe ich bemerkt, dass ich mich problemlos mit meinem jüngeren Selbst identifizieren konnte. Meine Einstellung gegenüber vielen Dingen hatte sich nicht grundlegend verändert, ich habe nur dazugelernt. Diese Texte haben längst vergessen geglaubte Einzelheiten wieder wachgerufen. Sofort war alles wieder da, Bilder, Gefühle, selbst Töne oder Gerüche, so unmittelbar als hätte ich es erst gestern erlebt. Viele Male hatte ich beim Lesen den Eindruck, einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen zu sehen.

Durch das Auswählen und Niederschreiben hat sich meine Motivation nach und nach weg von der einfachen Nacherzählung der Vergangenheit zu einer Art Selbstfindung verschoben. Es ging mir immer mehr um den Stellenwert, den gewisse Erlebnisse in meinem Leben hatten. Wo habe ich bewusst oder unbewusst Weichen gestellt? Warum bedeutete das Eine so viel und das Andere so wenig? Welche Mechanismen nützten mir in welchen Situationen?

Was würdest Du jemandem raten, der jetzt Lust bekommen hat, seine Memoiren zu schreiben? Wo soll man beginnen? Wohin führt es?

Memoiren zu schreiben ist ein Prozess, auf den man sich einlassen muss. Es fließt viel Zeit hinein, aber Zeit, die einem selber voll und ganz zugutekommt. Wichtig ist auch der Austausch mit anderen – so wie wir beide das gemacht haben - das schärft nochmal den Blick. Damit der Umfang nicht so überwältigend groß erscheint, kann man natürlich auch bei einzelnen Abschnitten anfangen, die einem, aus welchem Grund auch immer, leichtfallen oder wichtig sind. Und sollte man wirklich auf Themen stoßen, die einem schwerfallen, etwa jemandem zu vergeben, dann ist das ein guter Anlass sich Hilfe zu suchen und es wirkt befreiend.

Die Arbeit an meinen Memoiren ist noch nicht abgeschlossen, aber schon jetzt weiß ich, dass sie mir einen Weg in meine tiefste Seele geöffnet hat, den ich sonst nicht gefunden hätte.

Liebe Daya, ich danke Dir für Deine Einblicke und auch dafür, dass Du den ersten Teil meiner Memoiren, nämlich jenen über unsere Familie, bereits geschrieben hast. Die beiden anderen Teile – Kindheit/Jugend und mein Erwachsenenalter – stehen nun durch Deine Anregungen fix auch auf meiner Job-im-Alter Liste.

JEDER LEBENSRÜCKBLICK IST SPANNEND UND WERTVOLL

Vielleicht ist es einfacher, wenn man auf schriftliche Dokumente wie Briefe und Tagebücher zurückgreifen kann, aber ich bin sicher, dass Fotos oder Filme, Erinnerungen, Gespräche oder einfach nur der Fokus auf bestimmte Ereignisse im Leben ebenfalls sehr gute Reflexionen ermöglichen, Und vielleicht war das Leben von Daya in Japan außergewöhnlich, aber ist nicht jedes Leben außergewöhnlich und einzigartig? Und damit wert betrachtet zu werden?

Herzlichst
Helga

[i] Geneviève Grimm-Montel: Funktionen des Erinnerns im erzählten Lebensrückblick älterer Menschen. Narrative Selbstdarstellung und Integration autobiografischer Erfahrungen. Dissertation an der Universität Zürich (2012) https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/76278/1/Grimm-Dissertation.pdf